Sichtbeeinträchtigung für Autofahrer durch Sonnenblendung
Barbro Rönsch-HasselhornForschungsstelle Mensch-Verkehr der Eugen-Otto-Butz-Stiftung
am Institut ASER e.V., Wuppertal
1. Problembeschreibung
Das Problem der Sichtbehinderung des Kraftfahrzeugfahrers durch Sonnenblendung wird mit der Fragestellung untersucht, welche Bedeutung es für die Verkehrssicherheit hat und welche Schutzmaßnahmen zur Verfügung stehen.Um den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zu erfassen, wurden v. a. mit Hilfe der Universitätsbibliothek Wuppertal, der BAST und der BAUA Literaturrecherchen in verschiedenen Datenbanken mit deutscher und englischer Fachliteratur durchgeführt. Dabei wurde deutlich, dass das Thema Sonnenblendung insgesamt selten behandelt worden ist. Die verfügbaren Quellen stammen überwiegend aus den 80er Jahren.
Der folgende Bericht beinhaltet die Ergebnisse der Literaturrecherche sowie die Zusammenfassung eines Verfahrens zur Bewertung von Sonnenblendwirkungen. Die Bedeutung des Problems für die Verkehrssicherheit wird auf der Grundlage der Unfallstatistiken für die Bundesrepublik Deutschland dargestellt.
Blendung ist die häufigste und schwerstwiegende akute Sehstörung. Sie ist definiert als " ... Sehzustand, der durch eine unzweckmäßige Leuchtdichteverteilung, durch zu hohe Leuchtdichte oder zu große räumliche oder zeitliche Leuchtdichtekontraste als unangenehm empfunden wird oder eine Herabsetzung der Sehfunktion zur Folge hat." (Böhlke, S. 47) Statistiken weisen darauf hin, dass Blendung durch Sonnenlicht als Unfallursache selten auftritt, aber in bestimmten Fällen zur Entstehung eines Verkehrsunfalls mit beiträgt (Sambs, 1987, S. 239; s. u. Abschnitt 2.1).
1985 wurde im Rahmen einer Dissertation an der RWTH Aachen ein Verfahren entwickelt, um Sonnenblendsituationen im Straßenverkehr zu bewerten. Zur Überprüfung des Verfahrens wurden Befragungen von Pkw-Fahrern zu Störwirkungen durch Sonnenlichtblendung und zur Verwendung von Schutzmaßnahmen durchgeführt. Darüber hinaus erfolgten Verkehrsbeobachtungen, um das Verhalten von geblendeten Fahrern zu erfassen.
Ein Ergebnis der Befragung war, dass die Sonnenlichtblendung meist als naturgegeben hingenommen wird. Sonnenbrille und -blende werden von den meisten Fahrern in der Regel bewußt benutzt (Böhlke, S. 158). Die Verkehrsbeobachtungen zeigten, dass
- männliche Fahrer Sonnenschutzbrille und/ oder -blende häufiger benutzten als Frauen und in Abhängigkeit von der Sonnenhöhe früher als Frauen,
- Fahrer von Fahrzeugen mit getönten Scheiben Sonnenschutz seltener benutzten, ihn morgens später einsetzten und abends früher die Kfz-Beleuchtung einschalteten als Fahrer in Kfz ohne getönte Scheiben,
- männliche Fahrer wegen ihrer größeren Körperlänge seltener geblendet wurden als Frauen,
- in Abhängigkeit von der Sonnenhöhe eingesetzter Schutz längere Zeit in Gebrauch blieb, also auch in Situationen, in denen er nicht notwendig war, und damit die Sichtverhältnisse negativ beeinflusste (Böhlke, S. 159).
Nach Auskunft des ADACs wird die Blendung des Fahrers durch die Sonne als ein Problem der allgemeinen Lebensbewältigung betrachtet und ist nicht häufig Gegenstand von Nachfragen der ADAC-Mitglieder. In Beratungsgesprächen, in denen es um Blendschutz geht, stehe die Rechtslage im Hinblick auf bestimmte Maßnahmen im Vordergrund, z.B. die Frage, ob eine Blendschutzfolie auf die Frontscheibe aufgeklebt werden dürfe.
Der Glashersteller Pilkington, der zusammen mit den Herstellern St-Gobain und Asahi 73% der globalen Flachglasnachfrage des Automobilbereichs für Erstausrüstungen abdeckt, weist darauf hin, dass moderne Fahrzeugverglasungen als Sonnenschutzverglasungen ausgelegt seien, wobei allerdings der thermische Komfort bedient werde. Die gesetzlich festgelegten Grenzwerte, die für die Absorbtion des sichtbaren Lichts für Windschutzscheiben und Seitenscheiben gelten, würden bei den aktuellen Produktangeboten bereits ausgenutzt. Es mache zur Zeit wenig Sinn, bestimmte Bereiche der Scheibe flexibel, also der aktuellen Blendsituation entsprechend, abdunkeln zu lassen. Entsprechenden Entwicklungsaktivitäten sind durch den relativ zu den Entwicklungskosten niedrigen Marktpreis, der für ein entsprechendes Produkt im Vergleich zu einer manuellen Sonnenblende erwartet wird, enge Grenzen gesetzt.
Auch muss die potentielle Gefährdung durch Blendung bei Nachtfahrten durch entgegen kommende Autos als ein nicht minder starkes Problem im Vergleich zur Blendung durch Sonnenlicht angesehen werden.
2. Blendung durch die Sonne als Unfallursache
2.1 Daten der Verkehrsunfall-Statistik
Die Erfassung der Ursachen von Straßenverkehrsunfällen durch die Polizeidienststellen erfolgt bundeseinheitlich mit Hilfe eines Ursachenverzeichnisses. Darin wird zwischen allgemeinen Ursachen wie Straßenverhältnissen oder Witterungseinflüssen sowie personenbezogenem Fehlverhalten unterschieden. "Sichtbehinderung durch die blendende Sonne" ist eine separate Ursachenkategorie. Welche Bedeutung Sonnenblendung im Straßenverkehr hat, wird in Tabelle 1 an Hand der Anzahl der Straßenverkehrsunfälle mit Personenschaden, die durch Sonnenblendung verursacht oder mitverursacht wurden, sowie der dabei Verunglückten für die Jahre 1991 (erstmals Daten für das Bundesgebiet nach der Vereinigung) bis 2001 aufgeführt. Als Vergleichszahlen dienen die durch Sichtbehinderung bei Nebel bzw. Regen verursachten Straßenverkehrsunfälle mit Personenschaden. Um die relative Bedeutung der Sonnenlichtblendung als Unfallursache im Vergleich zu anderen Unfallursachen aufzuzeigen, werden in Tabelle 2 für die Jahre 1991 und 2001 die Unfallzahlen für die übrigen Witterungseinflüsse sowie für die fünf Unfallursachen erfaßt, die in Bezug auf Unfälle mit Personenschaden 1991 am häufigsten genannt wurden. Bei der Interpretation der Daten ist zu beachten:- Die Statistik beinhaltet nur solche Unfälle, zu denen die Polizei herangezogen wurde. Das sind vor allem solche mit schweren Folgen.
- Die Unfallkategorie "Unfälle mit schwerem Sachschaden" gab es bis zum 31.12.1994. Maßgebend für die Zuordnung zu dieser Kategorie waren DM-Grenzen für den entstandenen Schaden, die zu verschiedenen Zeitpunkten nach oben korrigiert wurden. Seit 1995 werden "schwerwiegende Unfälle mit Sachschaden" erfasst, worunter Unfälle verstanden werden, bei denen ein Straftatbestand oder eine Ordnungswidrigkeit vorlag und gleichzeitig ein beteiligtes Fahrzeug nicht mehr fahrbereit war (Statistisches Bundesamt, 2001, S. 10). Die Zahlenreihe enthält also einen Bruch, die Daten für 1991 und 2001 lassen sich nicht miteinander vergleichen, sonder nur als absolute Werte betrachten.
- Die Datenquelle erlaubt keine Auskunft darüber, in welchen Kombinationen mit anderen Unfallursachen Sichtbehinderung durch blendende Sonne die Entstehung eines Unfalls mitverursacht hat.
- Die Zahlen der Tabelle 2 enthalten Mehrfachnennungen, weil bei einem Unfall bis zu 8 Ursachen eingetragen werden können: Bis zu zwei allgemeine Ursachen sowie jeweils bis zu drei Ursachen beim Hauptverursacher und einem weiteren Beteiligten (Statistisches Bundesamt, 2001, S. 11). Deshalb ist es nicht möglich, Zahlenwerte verschiedener Ursachenkategorien zu addieren.
- In der Datenquelle UJ 14 (Unfälle jährlich, Tabelle 14), der die Werte der Tabellen 1 und 2 entnommen wurden, wird für jede Ursache danach differenziert, ob der einzelne Straßenverkehrsunfall innerorts oder außerorts vorkam. Auf diese Differenzierung verzichten wir in unserer tabellarischen Darstellung.
Jahr Ursache: Sichtbehinderung durch |
Unfälle mit Personen- schaden |
Verunglückte | |||
insgesamt | Getötete | Schwer- verletzte |
Leicht- verletzte |
||
1991 - blendende Sonne: - Nebel: - starken Regen etc.: |
1343 1368 655 |
1771 2190 932 |
33 91 24 |
402 625 276 |
1336 1474 632 |
1992 - blendende Sonne: - Nebel: - starken Regen etc.: |
802 1375 765 |
1099 2247 1155 |
31 64 32 |
235 661 385 |
833 1522 738 |
1993 - blendende Sonne: - Nebel: - starken Regen etc.: |
949 1240 10221 |
1300 1930 1549 |
18 60 41 |
340 602 512 |
942 1268 969 |
1994 - blendende Sonne: - Nebel: - starken Regen etc.: |
1238 1059 962 |
1661 1666 1437 |
21 46 40 |
397 419 419 |
1243 1087 978 |
1995 - blendende Sonne: - Nebel: - starken Regen etc.: |
1645 648 924 |
2277 1046 1389 |
30 44 35 |
551 307 365 |
1696 695 989 |
1996 - blendende Sonne: - Nebel: - starken Regen etc.: |
1532 791 756 |
2235 1295 1156 |
43 49 33 |
524 427 289 |
1668 819 834 |
1997 - blendende Sonne: - Nebel: - starken Regen etc.: |
2137 704 649 |
2957 1176 958 |
43 35 18 |
737 375 267 |
2177 766 673 |
1998 - blendende Sonne: - Nebel: - starken Regen etc.: |
1630 418 803 |
2260 714 1171 |
34 24 24 |
531 233 325 |
1695 457 822 |
1999 - blendende Sonne: - Nebel: - starken Regen etc.: |
1749 500 712 |
2473 779 1135 |
48 24 34 |
519 255 276 |
1906 500 825 |
2000 - blendende Sonne: - Nebel: - starken Regen etc.: |
1686 488 466 |
2329 838 664 |
37 28 17 |
483 222 185 |
1809 588 462 |
2001 - blendende Sonne: - Nebel: - starken Regen etc.: |
1767 464 675 |
2480 757 996 |
34 30 25 |
503 209 222 |
1943 518 749 |
Ursache Jahr | Unfälle mit schwerem Sach- schaden/ Schwerw. Unfälle mit Sachschaden |
Unfälle mit Personen- schaden |
Verunglückte | |||
insgesamt | Getötete | Schwer- verletzte |
Leicht- verletzte |
|||
Sichtbehinderung durch blendende Sonne: 1991 2001 |
608 391 |
1343 1767 |
1771 2480 |
33 34 |
402 503 |
1336 1943 |
Sichtbehinderung durch Nebel: 1991 2001 |
1026 169 |
1363 464 |
2190 757 |
91 30 |
625 209 |
1474 518 |
Sichtbehinderung durch starken Regen, Hagel, Schneegestöber, usw.: 1991 2001 |
586 362 |
655 675 |
932 996 |
24 25 |
276 222 |
632 749 |
Seitenwind: 1991 2001 |
258 67 |
316 240 |
423 319 |
19 9 |
132 91 |
272 219 |
Unwetter oder sonstige Witterungseinflüsse: 1991 2001 |
62 32 |
100 134 |
152 179 |
5 7 |
44 32 |
103 140 |
nicht angepasste Geschwindigkeit in anderen Fällen: 1991 2001 |
57947 34260 |
87488 79806 |
127737 115452 |
4163 2683 |
39347 28865 |
84227 83904 |
Andere Fehler beim Fahrzeugführer: 1991 2001 |
52047 16645 |
82246 73751 |
109484 96112 |
3301 1777 |
30513 21062 |
75670 73273 |
Nichtbeachten der die Vorfahrt regelnden Verkehrszeichen: 1991 2001 |
34890 23242 |
49209 48070 |
68306 66606 |
767 539 |
14957 11154 |
52582 54913 |
Ungenügender Sicherheitsabstand: 1991 2001 |
27397 4090 |
44128 53229 |
62548 76121 |
288 143 |
5929 4673 |
56331 71305 |
Alkoholeinfluß beim Fahrzeugführer: 1991 2001 |
21817 14455 |
37820 23669 |
54055 32099 |
1849 771 |
19284 9406 |
32922 21922 |
2.2 Vergleich der Sonnenblendung mit anderen witterungsbedingten sowie fahrerbezogenen Unfallursachen
Betrachtet man die Zahl der Straßenverkehrsunfälle 1991-2001, die durch Witterungseinflüsse verursacht bzw. mitverursacht wurden, ist festzustellen, dass Sichtbehinderung durch Sonnenblendung im Vergleich zu den anderen Witterungseinflüssen bei Unfällen mit Personenschaden seit 1994 am häufigsten als Unfallursache genannt wird. Abbildung 1 zeigt, dass die Zahl der sonnenblendungsbedingten Unfälle mit Personenschaden bis einschließlich 1993 unter der durch Nebel bedingten lag. Seit 1994 überwiegt die Anzahl der Unfälle mit Personenschaden durch Sonnenblendung die der durch Sichtbehinderung durch Nebel verursachten Unfälle deutlich. Eine Erklärung dafür ist, dass , so die Auskunft des ADACs, sich die Ausstattung der KFZ mit Nebellampen in diesem Zeitraum deutlich verbessert hat. Darüber hinaus wurden auch die Fahrscheinwerfer verbessert, so dass Fahrzeuge bei Nebel besser zu sehen sind als in früheren Jahren. Von Bedeutung für die Entwicklung der Unfallzahlen könnte ferner sein, dass die Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 15.10.1991 greift. Durch sie wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit bei Sichtweiten unter 50 m durch Nebel, Schneefall oder Regen auf 50 km/h beschränkt und für Lkw mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 7,5 t ein Überholverbot eingeführt. Im betrachteten Zeitraum wurden die wenigsten Unfälle mit Personenschaden durch Sonnenblendung und die wenigsten Verunglückten im Jahr 1992 erfaßt (802 Unfälle), die meisten 1997 (2137 Unfälle). Die Zahl der durch Sichtbehinderungen wegen starken Niederschlags verursachten Unfälle war im Jahr 1993 mit 1021 Unfällen am höchsten, im Jahr 2000 mit 466 am niedrigsten.Abb. 1: Anzahl der durch Sichtbehinderung verursachten Straßenverkehrsunfälle mit Personenschaden für die Jahre 1991 bis 2001 in der Bundesrepublik Deutschland.
Abb. 2: Anzahl der durch die Witterung und der durch die häufigsten Ursachen (bezogen auf die Unfälle mit Personenschaden im Jahr 1991) bedingten Straßenverkehrsunfälle für die Jahre 1991 und 2001 in der Bundesrepublik Deutschland.
Faktoren, die für die Beurteilung des blendungsbedingten Unfallgeschehens von Bedeutung sind, sind die Wetterverhältnisse sowie das Verkehrsvolumen (vgl. Statistisches Bundesamt, 2001, S. 35). Zu vermuten ist, dass
- die Zahl der Unfälle ceteris paribus umso größer ist, je größer die Verkehrsteilnahme ist. Indikatoren für die Verkehrsteilnahme sind der Kraftfahrzeugbestand und die Fahrleistung.
- lange Schlechtwetterperioden die Verkehrsteilnahme der besonders unfallgefährdeten Zweiradfahrer reduzieren und sich in niedrigeren Unfallzahlen widerspiegeln.
3. Stand der wissenschaftlichen Diskussion
3.1 Ergebnisse einer Literaturrecherche
Leitfragen für die Literaturrecherche waren:- Wie wird Sichtbehinderung durch Sonnenblendung definiert und gemessen?
- Welche Bedeutung hat Sonnenblendung in Bezug auf die Verkehrssicherheit?
- Welche Bedeutung hat Sonnenblendung für die Sicherheit von Fahrerarbeitsplätzen?
- Welche Schutzmaßnahmen werden heute angeboten?
- Welche Schutzmaßnahmen werden empfohlen?
Auffällig ist, dass das Thema Sonnenblendung im Strassenverkehr nur in zwei Publikationen, zum einen als Unfallursache, zum anderen als Gegenstand eines Messverfahrens, gesondert behandelt wird. Von den 31 gefundenen Publikationen waren 22 vor 1990 erschienen. Aktuelle Veröffentlichungen (nach 2000) befassen sich mit dem Thema Blendung durch Strassenbeleuchtung und Eigenschaften der Windschutzscheibe.
Die Vermutung, dass Sonnenblendung der Fahrer im Zusammenhang mit der Arbeitsbelastung und -sicherheit von Berufskraftfahrern diskutiert wird, wurde nicht bestätigt. Die entsprechende Literatursuche hat 4 Publikationen ergeben, die jedoch nicht speziell auf den Faktor Sonnenlichtblendung bezogen sind.
3.2 Verfahren zur Erfassung und Bewertung der Blendung des Kraftfahrers durch Sonnenlicht
1985 wurde an der RWTH Aachen eine Dissertation zum Thema "Blendung des Kraftfahrers durch direktes Licht der tiefstehenden Sonne" verfaßt. Darin werden die wichtigsten Einflußgrößen auf die Sonnenlichtblendung erstmals gemeinsam betrachtet und in ihrem Zusammenwirken beschrieben (Böhlke, S.2).Das Ziel der Arbeit ist, die Blendung des Kraftfahrers am Tag durch direktes Licht der tiefstehenden Sonne zu erfassen und die Blendwirkung quantitativ zu beschreiben und zu bewerten. Das entwickelte Bewertungsverfahren dient dazu zu überprüfen, wie stark ein Fahrer unter gegebenen Bedingungen durch direktes Sonnenlicht geblendet wurde, sowie dazu vorauszusagen, in welchem Maße die auf einen Fahrer wirkenden Lichtverhältnisse infolge Sonnenschein blendend wirken (Böhlke, S. 131). Anwendungsfälle für das Verfahren sind Unfallrekonstruktionen und Bewertungen von blendungswirksamen Maßnahmen.
In den Untersuchungen von Blendsituationen werden in der Arbeit ein Blendindex für psychologische Blendung und ein Blendmaß für physiologische Blendung ermittelt (Böhlke, S. 63). Psychologische Blendung erfaßt das subjektive Empfinden des Beobachters, physiologische Blendung die Veränderung der Sehleistung unter dem Einfluß einer Blendquelle (Meyer-Gramcko, S. 8).
Intensität, Dauer, Häufigkeit und Wahrscheinlichkeit von Blendereignissen werden in Abhängigkeit von verschiedenen Einflußgrößen bestimmt. Dazu gehören der Einfluß der Sonne in Abhängigkeit von ihrer Position, wodurch auch jahreszeitliche Einflüsse berücksichtigt werden, von strahlungsmindernden Einflüssen wie Trübung der Atmosphäre, Sonnenscheindauer und Sonnenwahrscheinlichkeit, und von den Lichtverhältnissen im Fahrraum. Außer den meteorologischen Randbedingungen werden Größen, die vom Fahrzeug bestimmt werden und das Auftreten und die Intensität der Blendung durch Sonnenlicht maßgeblich beeinflussen, berücksichtigt. Dazu gehören Fahrzeugart und -typ, Art der Aufbauten und der Fahrerkabine, Form, Größe, Neigung und Zustand der Scheiben, Körpergröße und Sitzposition des Fahrers und Sichteinschränkungen. Weitere Einflussgrößen, die berücksichtigt werden, sind Merkmale des Fahrraumes (Lage und Höhe) und der Gestaltung des Fahrraumes, wozu Fahrbahnbreite, Höhe der Randbebauung und Vegetation gehören.
Bei der Beschreibung von Blendsituationen werden die Ortskoordinaten, die Höhe des Fahrers, seine Blickrichtung, die Größe des wirksamen Sehfeldes, Datum und Uhrzeit, Trübungsverhältnisse und Sonnenscheinwahrscheinlichkeit benötigt, um Sonnenposition, Leuchtdichte der Sonne und ihre Beleuchtungsstärke sowie die Sichtbedingungen des Fahrers ermitteln zu können. Aus den Lichtverhältnissen im Fahrraum und der Sonnenposition zum Fahrerauge ergeben sich Indizes für die psychologische und physiologische Blendung (Böhlke, S. 130f).
Zur Überprüfung des Bewertungsverfahrens wurden die mit seiner Hilfe ermittelten Beurteilungsgrößen mit den Ergebnissen von Verkehrsbeobachtungen verglichen. Dabei ergab sich eine gute Übereinstimmung von rechnerisch ermittelten Blendsituationen und dem Verhalten der betroffenen Fahrer (Böhlke, S. 159).
3.3 Maßnahmen zur Verminderung der Sonnenlichtblendung
Da Auftreten, Intensität und Dauer der Sonnenlichtblendung von zahlreichen Einflußgrößen abhängen, ist es nicht möglich, das Problem auf wenige Standardfälle zu reduzieren. Böhlke (S. 160) untersucht deshalb beispielhaft, wie sich verschiedene einzeln oder gleichzeitig eingesetzte Maßnahmen auf die Kenngrößen auswirken, mit denen die Blendung beschrieben wird.Dabei betrachtet er
- planerische Maßnahmen, die den Straßenverlauf betreffen (Veränderung der Straßenrichtung und -längsneigung),
- fahrzeugbezogene Maßnahmen (konstruktive Maßnahmen zur Veränderung der Lichttransmission der Windschutzscheibe, Verwendung von Sonnenschutzblenden) und
- fahrraumbezogene Maßnahmen (Höhe der Randbebauung, Bepflanzung).
- Der Einsatz der Sonnenschutzblende ist die wirksamste Sonnenblendschutzmaßnahme. Ihr Vorteil ist, dass sie individuell und gezielt einsetzbar ist. Da sie jedoch das effektive Fahrersehfeld einschränkt, sollte sie auf das notwendige Maß beschränkt werden (Böhlke, S. 166).
- Eine vergleichbar große Sonnenschutzwirkung ergibt sich durch Maßnahmen zur Vergrößerung der wirksamen Horizonthöhe oder Einengung der optischen Breite des Fahrerraumes.
- Getönte Scheiben vermindern die Blendstörwirkung kaum (S. 162, 164). Böhlke kommt zu dem Schluss, dass die Fähigkeiten getönter Scheiben, Sonnenlichtblendung spürbar zu vermindern, meist überschätzt würden (S. 165). Selbst bei einer Lichtabsorbtion von 35% blieben bei sonst unveränderten Randbedingungen die Beurteilungsgrößen Blendindex und Blendmaß weit über den Grenzwerten, die unerträgliche Blendung kennzeichnen.
- Gleiche Aussagen gälten für die Wirkung von Sonnenschutzbrillen. Ein besonderer Hinweis erfolgt darauf, dass getönte Gläser die Umfeldleuchtdichte bei Dämmerung, Dunkelheit und Durchfahren langer Unterführungen am Tage zusätzlich unerwünscht absenken und für das Auge noch ungünstigere Leuchtdichteverhältnisse schaffen als nicht getönte Gläser (Böhlke, S. 165). In Bezug auf die Wirksamkeit von Sonnenschutzbrillen nimmt Meyer-Gramcko eine andere Bewertung vor: Er hält Sonnenschutzbrillen bei Fahrten gegen die tiefstehende Sonne, entlang der Küste oder in den Bergen für besonders erforderlich. Die übliche Sonnenbrille mit einer Lichtreduktion von 60-70% sei für die Verkehrsteilnahme vollkommen ausreichend (S. 9).
- Böhlke weist darauf hin, dass die planerischen Möglichkeiten, die Blendstörwirkung durch fahrraumbildende Elemente wie Randbebauung und Bepflanzung, durch die der optische Fahrraum schmaler wird, zu vermindern, bisher nicht ausreichend ausgeschöpft worden seien (S. 166).
3.4 Standards für die Fahrzeugglas-Homologierung
Böhlkes Untersuchungen zur Effizienz unterschiedlicher Blendschutzmaßnahmen liegen 20 Jahre zurück. Aus diesem Grunde war es von Interesse zu untersuchen, ob Produktentwicklungen im Bereich der Flachglasherstellung erfolgt sind, die Böhlkes Schlussfolgerungen in Bezug auf die Wirksamkeit getönter Scheiben von 1985 relativieren.Für die Entwicklung getönter Scheiben sind die internationale Standards der Fahrzeugglas-Homologierung maßgebend. Grenzwerte für die Lichtdurchlässigkeit von Windschutzscheiben und anderen Fahrzeug-verglasungen beinhalten die ECE-Regulation Nr. 43 von 1958, die Richtlinie 77/649/EWG von 1977 sowie der amerikanische Standard ANSI/SAE Z26.1 von1996.
- ECE-R 43
Die ECE (Economic commission for Europe) ist eine von fünf regionalen Kommissionen der Vereinten Nationen. Sie gründete das "World Forum for Harmonization of Vehicle Regulations" (WP.29), welche die Vereinbarung von 1958 zur Vereinfachung der Übernahme einheitlicher Bedingungen für die wechselseitige Anerkennung von KFZ-Ausrüstung und KFZ-Teilen verwaltet. Bestandteil der Vereinbarung von 1958 ist die als Nr. 43 veröffentlichte Regulierung "Einheitliche Vorgaben für die Anerkennung von Sicherheitsverglasung und Verglasungsmaterial".In Abschnitt 8 der ECE-R 43 werden Tests zur Überprüfung der optischen Qualität von Verglasungen vorgeschrieben, zu denen auch der Test der Lichttransmission gehört. Anhang 3 regelt die allgemeinen Testbedingungen. Für die Lichtdurchlässigkeit von Windschutzscheiben, die entsprechend dem vorgeschriebenem Testverfahren zu überprüfen ist, gilt, dass sie nicht unter 75% liegen darf. Der Grenzwert für andere Scheiben außer Windschutzscheiben beträgt 70%.Anhang 17 ergänzt, dass Windschutzscheiben mit integrierten Abdunklungsbändern daraufhin zu überprüfen sind, dass diese Bänder außerhalb definierter Bereiche der Windschutzscheibe liegen.
- ANSI Z.26.1
Der amerikanische Standard ANSI/SAE Z26.1-1996 des American National Standards Institute spezifiziert Tests für Sicherheitsverglasungen. Abschnitt 5.1 bezieht sich auf die Lichtdurchlässigkeit von Sicherheitsverglasungen in Kraftfahrzeugen für Bereiche, die für die Sicht beim Fahren notwendig sind. Für diese Bereiche wird als Grenzwert formuliert, dass die Lichtdurchlässigkeit bei normalem Vorkommen sowohl vor als auch nach der Bestrahlung nicht unter 70% des Lichtes betragen darf.
- Richtlinie 77/649/EWG
Diese Richtlinie des Rates vom 27. September 1977 zielt auf die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über das Sichtfeld der Fahrer von Kraftfahrzeugen, damit das EWG-Betriebserlaubnisverfahren auf jeden Fahrzeugtyp angewandt werden kann. Sie hat zum Zweck sicherzustellen, dass ein angemessenes Sichtfeld vorhanden ist, wenn die Windschutzscheibe und die übrigen verglasten Flächen sauber und trocken sind (Anh. I 1.1.1. 77/649/EWG). Entspricht ein Fahrzeug - die Richtlinie gilt für Kraftfahrzeuge der Klasse M1 der internationalen Klassifizierung (Art. 1 77/649/EWG) - den Vorschriften der Anhänge I (allgemeine Bestimmungen), III (Verfahren zur Bestimmung von H-Punkt und tatsächlichem Rückenlehnenwinkel sowie Überprüfung der R-Punkt-Lage relativ zum H-Punkt und des Verhältnisses zwischen konstruktiv festgelegtem und tatsächlichem Rückenlehnenwinkel) und IV (Methode zur Übertragung der primären Bezugspunkte des Fahrzeugs auf das dreidimensionale Koordinatensystem) der Richtlinie, dürfen die Mitgliedstaaten nicht die EWG-Betriebserlaubnis oder die Betriebserlaubnis mit nationaler Geltung (Art. 2 77/649/EWG) und nicht den Verkauf, die Zulassung, die Inbetriebnahme oder die Benutzung von Fahrzeugen (Art. 3 77/649/EWG) wegen des Sichtfelds verweigern oder verbieten. Seit Böhlkes Untersuchungen von 1985 haben sich die Grenzwerte für die Lichtdurchlässigkeit der Fahrzeugverglasung, durch die einerseits störende Blendung reduziert, andererseits aus Gründen der Verkehrssicherheit sichergestellt werden soll, dass möglichst viel sichtbares Licht in den Fahrraum gelangt, nicht verändert. Da er die Blendstörwirkung bei einer Lichtabsorbtion von 35% untersucht hat, gilt seine Bewertung des Blendschutzes durch getönte Scheiben unverändert. Sie entspricht der Auskunft der Flachglasindustrie, dass Sonnenschutzverglasungen im Hinblick auf den thermischen Komfort weiterentwickelt würden.
4. Fazit
Der Überblick über den Stand der Diskussion enthält keinen Hinweis darauf, dass Fahrern in naher Zukunft bessere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um Sonnenblendung zu vermeiden. Die fahrzeugbezogenen Maßnahmen Sonnenschutzblende und Veränderung der Lichttransmission der Windschutzscheibe scheinen im gegebenen Rahmen ausgeschöpft zu sein. Bölke weist darauf hin, dass die Möglichkeiten, Blendstörwirkungen durch fahrraumbildende Elemente zu vermindern, noch nicht ausgeschöpft seien. Die Ergebnisse der Literaturrecherche weisen jedoch nicht darauf hin, dass dieser Ansatz verfolgt wird.Die Daten der Unfallstatistik zeigen auch, dass Sonnenblendung zwar unter den witterungsbedingten Ursachen die häufigste Unfallursache darstellt, im Vergleich zu anderen Unfallursachen aber für das Unfallgeschehen von geringer Bedeutung ist. Diese Beurteilung des Sicherheitsrisikos spiegelt sich auch in der Marktpreiserwartung der Hersteller für blendungswirksamere Scheiben wider. Demgegenüber scheint es für das Problem der Blendung bei Nachfahrten durch entgegenkommende Fahrzeuge oder die Straßenbeleuchtung (CIE, 2001) weitere Lösungsansätze wie z. B. lichttechnische Maßnahmen zu geben.
5. Literatur
Böhlke, J.C.: Blendung des Kraftfahrers durch direktes Licht der tiefstehenden Sonne. Lehrstuhl und Institut für Straßenwesen, Erd- und Tunnelbau, RWTH Aachen. Diss. 1985.CIE (Commission internationale de l`éclairage), Division 4, Lighting and signalling for transport: Reports, August, 20th, 2001, TC 4-33.
Deutscher Wetterdienst: Witterungsreport 2001 - Jahresausgabe, Frankfurt a. M.: Brönners Druckerei Breidenstein, 2002.
Meyer-Gramcko, F.: Der Gesichtssinn. In: Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, Heft 1, 1990, S. 7-10.
Sambs, J: Unfallursache: Blendung durch Sonnenlicht? In: Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, Heft 9, 1987, S. 239-242.
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Verkehr. Fachserie 8, Reihe 7, Verkehrsunfälle 2000, Stuttgart: Metzler/ Poeschel, 2001.
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Verkehrsunfälle 2000 - Zeitreihen. CD-ROM-Ausgabe, Wiesbaden, 2001.
Sonstige Quellen
ANSI/SAE Z26.1-1996
ECE-R 43 ( http://www.unece.org/trans/main/wp29/wp29regs.html)
Richtlinie Nr. 77/649/EWG des Rates vom 27. September 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften über das Sichtfeld der Fahrer von Kraftfahrzeugen ( http://europa.eu.int/eur-lex/de).
Artikel erschienen in :
Zeitschrift für Verkehrssicherheit (ZVS), TÜV-Verlag, Köln 2003, Heft 1, 1.Quartal 2003